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Meine Zeichen

Kunst ist offenes Denken auf konspirativen Wegen, ist Forschungsstation im Meer sprachübergreifender Inseln. Mit ihren Möglichkeiten Denken zu formen, verantwortet die Kunst emotionale und ästhetische Erfahrungen zu aktivieren. Sie kann stilles Wissen begreiflich machen, Denkmuster aufbrechen, Aktionsräume öffnen. Räume, in denen sinnliche Erkenntnisse lesbar und Reflexionen in Form von Handlungen provoziert werden können. Aufgrund der sinnlichen Qualitäten künstlerischer Werke und ihrer sozialen Dimensionen des Ästhetischen, kann Kunst Diskurse Bildgebend klären und so zur Schärfung der Wahrnehmung beitragen. Sie kann Bewegungen initiieren, Erfindungen in Rotation halten und reaktive Möglichkeiten der Formfindung anbieten, wie sich Wirklichkeit erleben lässt.

Kunst muss auch Vibrator sein, um etablierte Wissensordnung transformatorisch in Verzückung zu halten.
Das „dichte Wissen“ der Kunst als epistemisches Potential, übernimmt die Rolle, dass das jenseits des Sagbaren, für die Wissenschaft nicht fassbares schweigendes Wissen zugänglich bleibt, verdichtet und vermittelt werden kann. Dabei verhandeln die Künste ständig neue Sprachen der Formfindung und suchen bevorzugt Methoden, diese ökonomisch zu vermitteln.
Eine Beschleunigung der „Verwertung“ von Kunst, ereignete sich immer in Etappen aktiver Nähe zur Wissenschaft. Beide scheinen sich in bestimmten Momenten der Entwicklung zu bedingen und so zeigt es die Historie, beide sind in diesem Verbund explosiv produktiv.
Stichwort Informationsvermittlung. Seit der allmählichen Ablösung der Botschaft vom Körper des Boten, hin zur digitalen Verschlüsselung in einem globalen Transportwerk, ändern sich auch die Formen der Verwaltung von Wissen. In den frühen Formen des Transportes von Botschaften sind Sklaven als Läufer, Schnittstellen des Risikos einer Mitwisserschaft. Informationen konnten missbraucht oder leicht in Hände unliebsamer Dritter entschwinden. Für Sender und Empfänger der Nachricht ein unschöner Akt, zumal der eventuell vereinbarte Wissensvorteil nutzlos wurde. Ein dritter Zeuge, unabhängig ob dieser ein Sklave oder vereidigter Bote war, beinhaltete immer ein Risiko.

Unschöner Akt der Mitwisserschaft

Der Bote hatte also nicht nur einen Körper, der den mühsamen Transport zu bewältigen hatte, sondern auch einen Kopf, der die Nachricht verstehen und bei den mündlichen Formen der Übermittlung auch sprechen können musste. Bis in die Gegenwart der weltweit verkoppelten Maschinen und Programme sind die damit verbundenen Probleme der Geheimhaltung nicht gelöst. Was der Körper transportiert, sollte geheim bleiben. Die einzige, vorübergehend wirksame Methode der Verbergung in der Welt der Sprache, der die Computer zugehören, ist die Kryptologie. In ihr liegt die Leidenschaft für die Ver- und Enträtselung von Texten als Wissenschaft des scholastischen Zugangs zur Welt. Sie war für die Alchemisten und ist für die Geheimdienstler unserer Zeit überlebenswichtig. Kryptogramme sind Zeichen mit kreativem Sprachpotential, zugänglich für nur Eingeweihte wie Priester, Könige, Verbrecher und Verschwörer. Notwendig um den Vorsprung an Wissen zu halten und notwendig um Macht zu binden.
Giovan Battista della Porta (von ihm gibt es mehrere Schreibweisen seines möglicherweise geheim zuhaltenden Namens) – schreibt 1563: „Was sind geheime Schriftzeichen? Geheime Zeichen nennt man in den höheren Wissenschaften die Schrift, die mit Kunstverstand in der Weise ausgeführt worden ist, daß sie von keinem anderen gedeutet werden kann außer von dem, an den sich die Schrift richtet. Wenn wir nun ihre Verwendungsarten betrachten, werden wir feststellen, daß sie nur in solchen Angelegenheiten gebraucht werden, wie sie uns in der Religion und den Geheimwissenschaften begegnen. Damit sie nämlich Außenstehenden und solchen, denen die entsprechenden Weihen noch einigermaßen versagt bleiben, nicht profaniert werden“
Als „totales soziales Phänomen“ verändert heute die Codierung der Sprache in Form der Digitalisierung durchdringend alle Gestaltebenen gesellschaftlicher Ordnung. Alles ist Netz, nichts mehr Gemeinschaft. Dabei umfasst es alle Lebensbereiche des privaten wie öffentlichen Raums. Der Austausch von Zeichen ist an der Oberfläche demokratisiert, zeugt aber in den Tiefen noch immer vom Missverhältnis der Gewaltenteilung. Die Archive sind geöffnet, aber noch immer bestimmen Archivare über den Zugang zur Wahrheit. Museen, als Verwalter des Wissens, sind für jeden zugänglich demokratisiert jedoch ökonomisch abhängig. Mehr und mehr übernehmen Sammler mit ihren Sammlungen das Diktat der Exklusivität und ziehen sich mit ihren Werten zurück in das Private. Wissenschaft und Forschung werden privatisiert und erinnern im Kastendenken an die Herausforderung der sozialen Frage im industriellen Zeitalter des 19.Jahrhunderts. Eigentlich wäre es wieder an der Zeit, die Künste und Kunstvermittlung an ihr Versprechen einer Kooperation demokratischer Verfügbarkeit zu erinnern. Schon wieder entstehen soziale Ausgrenzungen und Dispositionen. Aber scheinbar gibt es sie noch: Freiräume. Denkräume, Aktionsräume, Naturräume und Brachen. Oder sind dies nur Orte bewusster Verweigerung?

Im Isenheimer Altar des Matthias Grünewald stehen sich zwei Johannes gegenüber. In ihrer typologischen Position, ist ein J. noch dem Judentum und dem Alten Testament zugehörig, er ist der Vorbote des Messias. Als letzter Prophet hält er das Buch des Alten Testaments und weist mit dem überlangen Zeigefinger auf den Gekreuzigten, um durch die Inschrift hinter ihm das Neue Testament mit den Worten zu verkünden: „Jener muss wachsen, ich aber muss kleiner werden“ Damit wird angedeutet, dass das Erlösungswerk Christi vollbracht ist. Die Ankündigungen Johannes des Täufers haben sich erfüllt. Während der Apostel Johannes von der Pforte als Evangelist das Christentum und das Neue Testament preist. Beide Johannes erweisen sich als Alpha und Omega des göttlichen Wortes. Sie bilden eine zeitliche Pforte, durch die die Sonne des Heils, also Christus eintritt. In dieser klaren Bildsprache, für den Menschen im Mittelalter unmissverständlich deutbar, beschreibt die Gegenüberstellung der beiden Heiligen den Beginn der christlichen Vereinnahmung des Alten Testaments und kirchlich-dogmatische “Enterbung” des Judentums. Ein “Effekt”, der in Krisenzeiten Pogrome an Juden und anderen Minderheiten “rechtfertigte” bis weit in die Neuzeit hinein.

Doppelter Johannes, der Maurer in der Mitte des Seins im Logo der Loge

In der amerikanischen Loge der Freimauer, wird die konträre Geschichte der beiden Johannes gerne aufgegriffen, um Schlagwortgebend für den Beweis der Existenz Gott*es in einem Zeichen präsent zu sein. In dem Pictogramm sind *beide Johannes als Linien dargestellt, die einen Kreis berühren. Im Zentrum der kleine Punkt, ist im übertragenem Sinn der freie Maurer, welcher in der Mitte des Seins lebt. „Wer in der Mitte des Seins lebt, kann in dem Labyrinth der Zeit nicht untergehen“. Der Kreis ist Gott und die beiden Linien sind treue Zeugen der Inkarnation Gottes im Leib Jesus Christus.

Gott ist ein Kreis
Im Kreis sind alle Gegensätze aufgehoben. Und doch sind in ihm alle Potenzen radialer und fliehender Kräfte enthalten. Der Kreis „betreut“, wie die Mutter ihre Kinder mit ausgleichender Gerechtigkeit, seine Gewalten im Erhalt des Gleichgewichts. Der Kreis als Topos für das Mysterium der heiligen Mitte. Der Schoß der Welt, aus dem alles Leben strömt und wieder einmündet. Der Kreis als göttliche Wirkung umspannt das All und ist das All. Der Kreis als göttliche Idee umfasst die Welt und ist die Welt. Im Kreis fallen alle Linien ineinander, beugen und biegen sich unter der Last des formenden Willens einer sphärischen Kraft. Der Kreis ist das allumfassend Göttliche, in dem Anfang und Ende zusammenfallen, in dem Himmel und Erde verbunden sind.
In der antiken Welt ist Zeus dieser Gott. Er beherrscht das Zentrum des Kosmos, gibt ihm Sinn und Gestalt. Zeus ist mittlerer Punkt im unendlichen Rund. Er ist überall und nirgends, ist Mitte und Kontur. Ist fest und sublim. Zum Greifen unfassbar.

Nicht begrenztes Rund, dessen mittlerer Punkt
Sich überall findet, doch nirgends
Der Umfang; aus Mitte und Kontur
Gehen ringsum Strahlen hervor oder Kreise.
schreibt Herr Guy Le Febvre de la Boderie

Alle sind überzeugt von der Existenz einer Kraft in der Mitte. Genannt in Ehrfurcht als ER. Ein ER als zeitlose Materie umgeben vom Geist, dem Pneuma. Um Gott zu fassen, erfindet der Mensch den Kreis. Eine Form ebenso offen, wie geschlossen. Der Kreis, gefüllt als Punkt ist Ende. Ist definitiver Schluss. Schlussendlich aber nur ein kleiner Fleck. Ein Niemand im Verhältnis zum Kreis. Dennoch hat dieser Punkt als punctum einen Bruder, den Einstich. Eine Perforation, eine Verletzung eine Anomalie. Neben dem ordnenden Ende des vollen Kreises, öffnet der negative Punkt den Raum in eine dritte Dimension. Frei für eine “intime” Besetzung. Die Verletzung öffnet den Raum hinter der Fläche. Der perforierte Punkt hält den Platz frei, für die Möglichkeit eigenkreativer Schöpfung. Heißt, das Göttliche hält nur den Rahmen und gibt uns die Möglichkeit offen zu Denken.

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Jörg Herold