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Geburt 1879
Kasimir Sewerinowitsch Malewitsch

Ein Herr Malewitsch, Weltenbürger und Kommunist im Quadrat, sieht den kommenden neuen Menschen in der russischen Revolution. Er ist voller Energie und Tatendrang, zieht etliche Künstler in seinen Bann und ruft die „Jünglinge des Westens, des Ostens und des Südens“ an; „die Welt zu reinigen und der Erde das Kleid einer neuen Form und Sinn über zu ziehen“. M. gründet Komitees und Künstlergruppen. Mit Pinseln, Farben und Plakaten durchziehen sie Städte und Dörfer. Malen rote Ziegelwände weiß und pinseln strenge Formen auf. „Das Rot lehrt den Menschen einen neuen Weg, und wir lehren das neue Schöpfertum der Kunst“. Die Straßen sind ihre Werkstätten und die Häuser ihre Staffeleien. Kunst ohne Umweg, direkt in die Köpfe der Massen. „Wir warten, Ihr, die ihr Spürsinn besitzt, verstärkt die Reihen der neuen Fahne! Unsere Ateliers malen keine Bilder mehr, sie errichten die Formen des Lebens; nicht die Bilder, die Entwürfe werden zu lebenden Wesen.“ Ein neuer Wind soll das Steife aus den Akademien blasen und das Fanal des Gegenstandslosen wird die alte Dingwelt zerstören. Ein neuer Plan des Lehrens muss geschaffen werden, der Schüler muss erkennen, Erstens: „dass jede Wahrnehmung konstruierte Farbe“ ist. Zweitens: „Arbeit mit den Materialien als Mittel der Überwindung, und das dritte Stadium; die Faktische Fakultät, wo die Technik als Mittel des Erbauers erscheint“. So wird der Schüler zum Schöpfer erzogen.
Kaum formuliert sind schon erste Erfolge der Manifeste zu vermelden. Herr Lasar Markowitsch Chidekel, Kernreiner Suprematist, berichtet: „In unseren Werkstätten gibt es schon eine Frucht der Vollkommenheit. In der Architekturwerkstatt der Faktischen Baufakultät, welche auch aus dem gesamten Verlauf der Malerei resultiert, der über die enge Leinwand hinausgeht, wohin auch die organische Entwicklung führt. Unser Genosse Tschaschnik hat eine Tribüne erfunden, die in nächster Zeit auf einen Platz der Stadt aufgestellt werden wird. Das sind nicht die Millionen Gemälde, die in ein Museum oder Invalidenheimgehören, sondern es ist die Frucht unseres Lebens.“

in den tiefen des raumbewußtseins erheben sich unablässig stürme die dem
neuen schädel des jahrhunderts den weg bereiten
unser sturm hat den schädel der alten welt gespalten und zermalmt ihn zu
staub indem er die alten bahnen umgestaltet.
die kultur der alten jahrhunderte unseres bewußtseins saust in den abgrund.
das bewußtsein selber wirft die ausgetrocknete schale der gestrigen tage ab.
Aus den unergründlichen tiefen der finsternis schlägt der blendende funke der
neuen kultur.
der sturm der revolution fegt mit donnergrollen über die wogen der staaten
stößt die letzten stützpfeiler der alten logik den sinn der moral die staatsräson
um.

1918, Kasimir Sewerinowitsch Malewitsch, Erste Sätze einer Deklaration

Konsequent, „alle Bilder zu verbrennen und die Asche in den Museen auszustellen“. Nach dem Suprematismus, so meinet Herr M., wird es keine andere Malerei mehr geben. Der neue Staat brauchte Revolutionäre wie ihn. Schrill, neue Formen denkend, der Zukunft zugewandt. Ignorant dem Alten gegenüber. Ihm traute man das NEUE, in großen Formaten zu bespielen zu. Festumzüge, Paraden und Jubelfeiern mussten landesweit organisiert und in Übergröße beschmückt werden. Mit Leichtigkeit konnten seine Mitstreiter den Auftraggeber befriedigen. Tausende Quadratmeter Leinwand wurden über die Fassaden gespannt. Dynamische Linien über rote Flächen, Quadrate, spitze Winkel und Punkte in Blau und Grün. Die Schriften hämmerten in wütender Typografie revolutionäre Manifeste in die Menschen. Auch wenn man nicht lesen konnte, war die Aussage jedem klar. Das also war die neue Zeit. Sie treibt dich an, bewegt dich vorwärts. Symbole blühte in allen Farben. In den Straßen leuchtete die neue Kunst. So hell, dass neue Wege sichtbar wurden. Es hieß; dem Licht der Formen musste man nur folgen, dann wurde man zum neuen Menschen.

Am ersten Jahrestag der Revolution 1918, verpackte Natan Altmann die Seitenflügel der Eremitage in rotem Tuch. Das Portal eine umgekehrte Guillotine – oder? Jörg Herold, überarbeiteter Entwurf des Herrn Altmann 2022.

Aber der Sieg über die Avantgarde durch die malenden Realisten, vor allem der Porträtisten von Führern unendlicher Parteitage, war wohl vorbestimmt. Die Kraft der bloßen Formen ließ nach und Lenin sprach das Machtwort im Chaos der überhitzten Kunstdisskurse. Hin zu mehr Inhalt, Kunst ohne Kniff! Nur Formen als Bilder reichen nicht aus, die Weltrevolution im Klassenkampf zu gewinnen. 1932, per Verordnung, wurden dann auch alle freien Künstlergruppen aufgelöst. Die Avantgarde verschwand im grau und später im Exil. Jetzt gab es nur noch „einheitliche Fachverbände“. Kunst wurde 1934 zur Formalie. Inhalte bestimmte die Partei. Ein stählerner Realismus verpestete die Ateliers und erstarrte letztendlich im entseelten Revolutionskitsch. Diese Bilder erfassten keine Massen, konnten nun aber endlich gelesen werden.

E.Sermowa, Kollektivbauern begrüßen die Panzerbesatzung während der Manöver, 1937. Ideal Putins 2022. Russische Bauern begrüßen ihre Erlöser auf ukrainischem Boden.
Gedichtetes Ständchen für den 21. Dezember, dem Geburtstag des Herrn Stalin. „Sie hören von der Liebe Stalins zu den arbeitenden Menschen der ganzen Welt, von seinem Hass gegen die Ausbeuter und Kriegshetzer – erfahren von der Liebe der Menschen aller Länder zu Stalin. Sie schreiben ihm, schicken ihm Geschenke, denken an ihn und bleiben tapfer, wenn sie von den Kriegshetzern gequält und eingesperrt werden. Die Menschen der Sowjetunion arbeiten aus Liebe zu Stalin und zur Heimat – erkennen, dass Stalin über den Frieden der Welt wacht – fühlen Geborgenheit, Liebe und Vertrauen.“ Jörg Herold „stählerner Stalin“, Stoff und Stahl 68 x 47 cm 2006

Sozrealismus!
Volkstümlichkeit = der einfache Mensch versteht die Kunst ohne Fachausbildung; Ideengehalt = Darstellung der täglichen Arbeitsheroik, hin zur blühenden Zukunft; Konkretheit = keine Symbolik oder Metapher

„Der Sozialistische Realismus ist weder eine Kunstrichtung noch ein Stil,
er verbildlicht die schöpferische Methode der wahrhaftigen, den ganzen Reichtum und die Größe unseres neuen Lebens und seiner gewaltigen Perspektive widerspiegelnden Gestaltung der Wirklichkeit in Kunstwerken, die tief zur Veränderung der werktätigen Massen im Geiste des Sozialismus beitragen“
„Wir entscheiden uns für eine Praxis, die durchdrungen ist von dem Bewusstsein, dass in der Kunst Bestand hat, was heute dem sozialistischen Aufbau nützt, indem es dazu beiträgt, unsere historische Aufgabe zu erkennen und zu erfüllen“

Parteidoktrin 1958

Klare Ansage. Der neue Mensch ist Arbeiter. Besser noch Stahlarbeiter. Noch besser, Gießer am Hochofen. Es begann die Blütezeit der gemalten Produktivität. Höher, weiter, besser. In der Gesellschaft geschah revolutionäres. Pläne wurden übererfüllt. Normen um das 1054-fache überboten. Zur Erfüllung der gestrichelten Leistungskurven, jagte ein Rekord den Nächsten. Walter Ulbricht forderte so auch vom Künstler „Anpassung an die wissenschaftliche Revolution“. Leistung, Leistung, Leistung. Gemalte Realität. Und auf der fünften Tagung seines Zentralkomitees forderte er: „Wir wollen keine abstrakten Bilder mehr sehen. Wir brauchen weder die Bilder von Mondlandschaften noch von faulen Fischen. Die Grau-in-Grau-Malerei ist ein Ausdruck des kapitalistischen Niedergangs.“ … „malt Bilder aus der Arbeiterwelt, Kollektiv- und Brigadebilder, Diskussionsbilder, Porträts, Demonstrationen und Festakte, FDJ und Junge Pioniere, Familien- und Genrebilder, Historienbilder, Deutsch-sowjetische Freundschaft und Kampf gegen Kapitalismus und Imperialismus!“. Also genug zu tun. Willi Bredel, Präsident der Akademie der Künste der DDR, prägte die Doktrin: „Ich bin Arbeiter! Wer ist mehr?“. Nun konnte es keinen Zweifel mehr an der Richtung der neuen Kunstbewegung geben. Aus den Museen verschwanden die alten Werke in die Magazine. Kunst war nun Waffe im Klassenkampf. Der Staat entmündigte seine Künstler. Kunst sollte Sprachrohr der Partei sein und der Künstler ihr Mediator.

„Die schöne Kunst der Gegenwart – das ist die Jugend, die Reinheit, die wir in ihr verwirklichen.
Ich wollte eine bildliche Sprache für das Neue, Schöne, Gewaltige finden.
Es gibt etwas Unbeugsames im Rhythmus der Jugend, der Kühnheit.
Auch die Tapferkeit hat ihre eigene Dynamik. Etwas Neues – das waren meine Pläne für die Malerei“
Herr Dejneka 1960

Aleksandr Aleksandrovich Deineka „Ausflug Lenins mit Kindern“ 1938. Aus dem Dunkel ins Licht Jörg Herold Konnotation 2022
Jörg Herold, Siebdruck zum offenen Theaterabend „Heiner Müller, Wolokolamsker Chausee V“ 1988 Aus einem Aufsatz von Frau Iwanitzkaja über didaktische Spiele im Kindergarten. Erfühlen von Grundfarben: „In der Absicht, die Vorstellung der Kinder von den Grundfarben zu festigen, insbesondere sie zu lehren, Rot und Blau zu unterscheiden, brachte eine Erzieherin in die Gruppe der Dreijährigen eine rote und eine blaue Vase mit entsprechenden Fähnchen mit. Sowohl die Vasen als auch die Fähnchen versetzten die Kleinen in Freude. Sowie sie nun die Kinder aufforderte, je ein Fähnchen zu nehmen, liefen gleich einige von ihnen, die Fähnchen über den Kopf erhebend, im Zimmer umher. Olja fing, sein Fähnchen hochhaltend, laut zu singen an: Wir hissen die rote Flagge - Und rufen alle Hurra! …“

Hineingeboren in die Phase der Aufarbeitung der Gemeingefährlichkeit des allmächtigen stalinistischen Despotismus, sind dessen Nachwehen der Indoktrination bis in meine Schulzeit und weit darüber hinaus, bis zum Bruch der Sowjetstaaten 1990 spürbar. Die fest verankerte Bruderliebe zum neuen Sowjetmenschen und dessen überlegene Ideologie, sind meiner Generation im Lehrbetrieb von Schule und Beruf, „erratische“ Reflexe abtrainiert worden. Denken war Doktrin der Eingleisigkeit. Eine streng gezogene Linie, führte direkt hinauf zum Fanal des Kommunismus. Kein Zurück. Vorwärts immer, Rückwärts … !

Das Lehrbuch der Pädagogik in wiederholter Auflage seit 1949 von Ivan T. Ogorodnikow, zweiter Lehrsatz: „die Erziehung der Schüler im Geiste der Freundschaft mit den Völkern der UdSSR, die eine einzige große Familie bilden, an deren Spitze das berühmte große und weise russische Volk steht“ unbekannte/r Künstler/in 1984

In der Kunst aber konnte nur vage die Darstellung des neuen Menschen definiert werden. Was Walter Ulbricht von seinen Künstlern forderte, ergoss sich tausendfach in die neuen Kunstausstellungen, aber ermüdete über die Jahre den Betrachter und Betrachterinnen.
Alles hatte so inspirierend begonnen. Im „Realistischen Manifest“, 1855, des Gustav Courbet, bestimmte Er erst Mensch dann Maler zu sein. Also lebendige, natürliche menschliche Kunst zu erschaffen. Seine „Steinklopfer“ beschrieben den kraftzehrenden Akt der Arbeit. Die Maloche des Proleten. Schaut hin, meinte der Künstler, es gibt ihn wirklich, den Bezwinger der Natur. Allein mit seinen bloßen Händen bändigt er die Wildheit der Landschaft, wird so selbst zum Teil göttlicher Natur. Gleichwohl ist das Privileg sein Abbild auf bemalter Leinwand dargestellt zu sehen, der Herrschaft vorbehalten. Manch Intellektueller war „pas amusè“. So formulierte der Schriftsteller Jules Champfleury sein Unbehagen mit den Worten: „Man will nicht zugeben, dass ein Steinklopfer ebenso viel wert ist wie ein Prinz. Der Adel entrüstet sich, dass so viel Leinwand Leuten aus dem Volk zuteilwurden“. Ja lieber Mann, meinte der Maler, sehen Sie „Ich bringe selbst die Steine zum Denken“.

Gustav Courbet „Les casseurs de pierres“ 1849

Wenige Generationen später, entwickelte sich aus diesem Denken ein Pamphlet des Ideologischen Willens, der Wirklichkeit verpflichtet zu sein. Aber, und hier unterschied sich der *Courbet*sche Naturalismus des nur Sehens, vom ideologischen Realismus. Dieser sollte das Innere, die unsichtbare Wirklichkeit, die Sicht auf eine politische Substanz in Bilder fassen, erzieherisch wirken. Künstler wurden zu Soldaten des Aufbaus. Zu Kämpfern für eine finale, einzig lebenswerte Gesellschaft, die des Sozialismus. Die Definition von Kunst war also auch nicht weit zu fassen. Im Rahmen der marxistisch-leninistischen Philosophie gilt der Begriff „Abbild“ als Grundbegriff jeder materialistischen Erkenntnistheorie. Im gesellschaftlichen Bewusstsein existierte demnach schon ein Ideal, ist bereits „Realität“, heißt Wirklichkeit. Und um diese widerzuspiegeln, wurde nur einem Kunststil vertraut, dem des „Realismus“. Eine historische Aufgabe, einen Sozialismus zu etablieren war zu bewältigen. Hier mussten alle mit anpacken. So wurde der Künstler Mitglied der Arbeiterklasse, wurde selbst zum Industriearbeiter. Reifte, und ist nun als proletarischer Typus gesellschaftsfähig. Ist Massentauglich.
Dennoch. Für einen kurzen Moment hält der Künstler noch einmal inne, bedenkt seine Aufgabe in der Geschichte und befragt die Form des Realismus erneut.
1930 sprachen zwei sowjetische Künstler der Gruppe „Oktjabr“ in Berlin mit einem Mitarbeiter der „Rote Fahne“. In Vorbereitung stand die Ausstellung Neue Kunst – des neuen Typus Künstler in Berlin.
Herr Gutnoff und Herr Tagiroff, angereist aus Moskau und Kasan, waren beflissene Revolutionskünstler und hatten längst aufgehört, als weltferne geistige Arbeiter im Luftleeren Raum von Ateliers zu arbeiten. Anstelle dessen sind sie, wie gefordert, zu Industriearbeitern in der Welt der Fabriken geworden. Beide glühen vor Begeisterung dem Journalisten ihre Welt zu diktieren. Wir die Künstler: „arbeiten nun gemeinsam mit den Industriearbeitern der Betriebe zusammen. Die Kunst hat an Stelle der alten handwerklichen Grundlagen die ökonomische, politische, technische und psychologische Basis des sozialisierten Betriebs erhalten. Den individualistischen Künstler gibt es nicht mehr. Vorbei des Dünkels kleinbürgerlicher Künstler-Anarchie, die über den Wolken schwebend „reine“ Kunst erschaffen. Dieser Egoismus ist abgestorben. Der Künstler hat die kollektive Psychologie des revolutionären Proletariats erhalten. An seinen Kunstwerken arbeitet das Kollektiv seines Betriebes mit. Die Arbeiter korrigieren die Entwürfe des Künstlers. Die gemeinsame Arbeit des Künstlers mit den Waffen des Industrieproletariats hat den bedeutendsten Teil der sowjetischen Kunst umwälzend beeinflusst“. „Im Übrigen“, der Genosse Tagiroff spricht dazwischen: „In unserer Gruppe „Oktjabr“ schaffen nur noch sechs Künstler in Ateliers, 210 Künstler sind bereits verbunden mit der Arbeit in Fabriken, in den Betrieben… „

Faik Tagiroff Freie Kunst 1928

„Nicht Tafelbilder, denn Tafelbilder spielen im Rahmen des Sozialistischen Aufbaus nur eine geringe Rolle, sondern architektonische Projekte, Plakate, Buch- und Broschürengestaltung,
Photos, Photomontagen und agitatorisch-propagandistische Kunstwerke….“

Aber weit gefehlt, das Tafelbild durfte nicht sterben. Es entfachte sich eine Formalismus-Debatte. Vorbild sollte die geistige Führerschaft des Genossen Stalin sein. Denn, so meinten die Mitglieder der SED 1951, in ihrer zweiten Formalismus-Kampagne, es gibt „Wege und Irrwege in der Kunst“. Klar musste die Kultur des Westens als Barbarisch von der der Sowjetunion und der DDR scharf geschieden werden. Zwischen Beiden herrschte Kampf. Künstler im Osten wurden ermahnt, die Einflüsse des Westens auf ihr Schaffen stärker zurückzudrängen. Es gibt keine Toleranz mehr für aus den 20er Jahren übernommene Vorstellungen. „Falsche Linien“ in der Malerei wurden formuliert und manch Künstler des Modernismus und Subjektivismus verdächtigt. So sollten z.B. Kompositionen aus farbigen Flecken, welches Arbeiter wie Roboter ohne menschenähnliche Proportionen aussehen ließen, aus der Öffentlichkeit entfernt werden. Der so beschuldigte Herr Strempel wusste nicht wie ihm geschah, hatte er doch seine Wandmalerei im Bahnhof Friedrichstrasse streng nach sowjetischem Vorbild des Agitprop gemalt. Zu viel Form zu westlich. Zu viel Dekadenz. Kurze Zeit später verschwand das Ärgernis dann auch wieder unter dicker Farbe.

Horst Strempels aus der Wand springender Bauarbeiter. Jeder Berliner kennt den überlebensgroßen, Hacke schwingenden Bauarbeiter in der Schalterhalle des Bahnhofs Friedrichstraße, im sowjetischen Sektor. Trefflich, oberhalb der Toiletten. Übertünchung 1951.

Erst 1978, als Larissa Shadowa die russisch-sowjetische Moderne umfassend in einem reich bebilderten Buch darstellte und dem Suprematismus eines Malewitsch, Rodschenko, Rosanova u.v.a.m. als bedeutend für die moderne Kunst als klassische Kunst umfassend würdigte, näherte sich eine heruntergewirtschaftete Nomenklatura und Parteielite, die russische Moderne der 20er Jahre, als selbstverständlichen Teil der kommunistischen Kultur anzuerkennen. Ein langer, langer Weg. Die meisten betroffenen Künstler waren da schon klassisch verstorben. Ihre Biografien endeten in seltsamer Verwindung und makabrer Selbstzensur.

A.Abidowa Schicksal unbek. A.Ikramow 38 erschossen J.Rudsutak 37 erschossen A.Zexer Schicksal unbek.

Die Angst des Künstlers vor der allgegenwärtigen Säuberung.
Überarbeitete Serie von Porträts (Festschrift 10 Jahre Usbekistan).
Geschwärzte Köpfe in Ungnade gefallener Parteiarbeiter. Wären bei einer Durchsuchung Alexander Michailowitsch Rodschenkos Wohnung, die Porträts im Buch noch in Klarsicht „entdeckt“ worden, wäre der Künstler selbst mehr als in Ungnade gefallen. Ein beträchtlicher Aufwand, aller in Verdacht geratenen Feinde des Sozialismus aus den Archiven des kollektiven Bildgedächtnisses zu entfernen und dabei niemanden zu vergessen.
Digital bearbeitete Fotografien „Gesichter zurück geben“ Jörg Herold 2022

Die Stiefel Stalins. Ungarn demontierte im Akt des kollektiven Bildersturms die Bronze des Genossen Diktators in Einzelteile und bestimmten die Rudimente zu Zeichen des Triumphes als ironischen Kommentar
Jörg Herold, Arbeiten auf Papier und Leinwand. „Zur Geschichte des Proletariats“ 2000er Jahre

Kleine Filme, Schmalfilme, Dokumentararchäologische Dokumentationen
Mit Schmalfilmen experimentierte eine kleine Super-8-Filmszene im Osten Deutschlands, ab Mitte der 80iger Jahre. Unabhängig eines privaten, eher familiären Erzählfilms bürgerlicher Idylle, nutzten Künstler Film als Medium Performances-begleitendes Material oder Aktionskunst. Dafür wurden entwickelte Filmstreifen mit Säuren, Farben und Nadeln malträtiert, um die Statik einer Leinwand aufzulösen und Formen wie Stigmen pulsieren zu lassen. Meist aber wurde in langen Kamerafahrten, mit wenig Schnitt und Perspektive, DDR-Realität und ein bisschen Subversivität dokumentiert.
Das Rohmaterial, eine Kassette 15m = drei Minuten, konnte frei gekauft werden. Die Entwicklung des Films eingerechnet. Zuständig dafür war das Kopierwerk in Johannisthal, mit mindestens 400 Beschäftigten. Was auch immer die Belegschaft dort sah, war entscheidend für die Freigabe und den Rückversand des belichteten Materials. Gefühlte Zustellung: Fifty Fifty. Angebote an Projektoren und Kameras im Handel, tendierten andererseits gegen Null. Und was wohl bei Erhalt des Urmaterials entscheidend war – der Film war ein Original – Reproduktion ausgeschlossen. Es musste also sorgsam mit dem Medium umgegangen werden. Jeder Filmabend hieß Materialverschleiß und konnte der letzte sein.
Aus technischen Gründen fehlte dem Super-8-Film der Ton. „Lippensynchronität“ musste „feinfühlig“ vom Kassettendeck zugeschaltet werden. Ein Trick, welcher die Aufführung zur Performance geraten ließ. Ohnehin rissen die Filme oft oder blieben im Projektor hängen, wobei das gefürchtete schmorend-braune-Blubbern auf die Leinwand projiziert wurde. Später frisch geschnitten, sind Länge und Ton erst recht aus der Spur, Möglich, dass nun entscheidende Szenen fehlten, aber so ergaben sich unter Umständen kreativ-potenzierte Inhalte neu. Mit der Technik der Digitalisierung endete diese Aufführungsmethode, wurde stabil, verlor aber dadurch an Spontanität.

Super-8-Film: Sportfest 69 1969/1988
Der organisierte Sport in der DDR, war auch immer ein Wehrkampfbetrieb. Schulische Sportübungen im Weit Wurf, wurden bis in die 80iger Jahre hinein noch mit Stielhandgranaten exerziert. Wohl an erinnere ich mich an die feinfühlige Patina des Eisenkopfes über dem speckig gefingerten hölzernen Wurfgriff. Ein sicher 50jähriges Geschoss, welches die Jugend schon vor dem zweiten Weltkrieg pragmatisch verwendete. Martialische Rituale begleiteten Wettkämpfe und Sportfeste. Sportschützen schossen Salut und Läufer trugen Fackeln durchs Rund. Die Sprache war militant. Der Schwächste aus dem Glied entfernt. Eröffnungsfeiern in Leipzig, dem sicher größten Turn- und Sportfestes der DDR, zelebrierte die Staatsführung am Völkerschlachtdenkmal und mit Fahnenweihe. Fast zwei Millionen Sportabzeichen wurden an das Volk verteilt. Es hieß „Jedermann an jedem Ort – jede Woche einmal Sport“. Und Leipzig war das Zentrum der Bewegung. Aus einem Fest wurde ein Festival. Leipzig bekam Sonderkonditionen an Spezialitäten. Auch die noch kleine Schmalfilmgemeinde im Privat-öffentlichen Raum, profitierte vom Erlass, da „das Referat Film des staatlichen Komitees beauftragt wurde, in Zusammenarbeit mit dem Zentralinstitut für Film und Bild und der Leitung des Dokumentar-Filmstudios Material für Schmalfilmgeräte herzustellen, das über das Sportfest berichtet.“ Noch war das frühe Fernsehen, der 50er und 60iger Jahre, technisch und personell nicht in der Lage, über das „Fest der Lebensfreude“ ausführlich zu informieren. Das überließ man den kleinen Schmalfilmfreunden, die, so hoffte man, in privater Runde Bericht über das Großevent erstatten würden. Der Staat hatte Vertrauen in seine Bürger, saß man doch im gleichen Boot. 1969 fand das fünfte Leipziger Fest unter neuem Namen statt. Das „Deutsche Turn- und Sportfest“ wurde zum „Deutschen Turn- und Sportfest der DDR“. Acht Jahre nach Schließung der Grenzen war die Teilung Deutschlands zu einer irreversiblen Gegebenheit avanciert. Zumal konzentrierte sich das zur Herrschaftssicherung instrumentalisierte „Festkomitee“ in den vorgegebenen Richtlinien, auf das 20-jährige Jubiläum der Deutschen Demokratischen Republik. Also hieß es auch „Alle Teilnehmer sind zur Liebe und Achtung gegenüber der Partei der Arbeiterklasse, der SED, ihrem Zentralkomitee und insbesondere gegenüber dem Freund und Förderer des Sports, dem Ersten Sekretär des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Genossen Walter Ulbricht, zu erziehen“.
Die Eröffnungsfeier fand wieder vor dem Völkerschlachtdenkmal mit Fackelzug und Feuerwerk statt und das Fernsehen, nun schon professioneller geworden, berichtet brav parteilich, nur nicht von den hunderten Chormitgliedern unterhalb des Kriegerdenkmals, welche im Verbrennungsdunst des Feuerwerks gerieten und der Tag mit akuten Rauchvergiftungen im Krankenhaus endete.

Jörg Herold/Familie Lybke: Dokumentararchäologie, Dokumentation der Eröffnungsfeierlichkeiten im Zentralstadium Leipzig, 1969, 2,50min, Schmalfilm 8mm, Farbe, Digitalisiert.1988 als installationsbegleitendes Material verwendet.
Jörg Herold DTSB Münzet, 1954, 1956, 1963, 1969, 1977, 1983, 1887, Hitze, Gelatine, Goldfarbe und Beize 2022

Super-8-Film: Beiwerk 1985
Spielerische Klärung des heroischen Begriffs Arbeit. Arbeit als Maßstab planorientierter Wirtschaft. Aufgabe: Räumung und Sanierung einer Ruine. Oberstes Ziel: Planerfüllung.
Hoheit darüber lag im Politbüro, Staatseigen, bürokratisch und starr. Vorgaben wurden durch Zielsetzungen erarbeitet und als Jahrespläne den Betrieben vorgegeben. Es galt das Prinzip des “demokratischen Zentralismus” in der Wirtschaftsführung. Das Maß aller Dinge war der übergeordneten Instanz erfüllte Pläne zu melden.

Dokumentation einer Aktion im geschlossenen Raum. Heroische Leistung im Nichts. 8,75 Stunden Planerfüllung. Redeverbot. Kulturelle Pausenbetreuung. Beendigung der Aktion durch das Hissen der weißen Flagge. Plagwitzer-Interessen-Gemeinschaft (PIG) Leipzig 1985, Super8 s/w, 8,40min.
Vorbilder: Die Besten unserer Zeit „Der Plan war Ziffer auf dem Rasterfeld – doch höher muss die Kurve springen, höher als ein Brunnenstrahl“ Motivationsplakat 1965

Reaktionsplastik: Ich finde es normal einen Klotz zu setzen 1987
1987 gab es derweil ein Massentaugliches TV-Eventfernsehen. Mit dem „Sportfest- und Spartakiademagazin“ verfolgten mit fast 20% Sehbeteiligung der über Antenne beteiligte Bürger die Eröffnungsfeierlichkeiten und Wettkämpfe vor dem TV. Nur über den Zapfenstreich inklusiver Fahnenweihe, mit 1,4% Zuschauerbeteiligung wurde nicht sehr erwähnenswert berichtet. Uniformen schreckten die große Mehrheit wohl zu sehr. Dennoch waren diese militärischen Rituale wichtiger Bestandteil der Festivitäten. Versicherten sie doch die Nähe der Macht am Körperkult. An die Überlegenheit des sozialistischen Menschenbildes, gesund, wehrhaft, Fahnentreu. Jeder Zeit bereit, die Partei, den Staat zu verteidigen.
Doch im Gefüge sind Risse. Ein offizieller Mitarbeiter des MfS berichtet vom „übelsten Sinne von Pöbeleien“ gegenüber der Berliner Delegation. „Ausdruck dessen war u.a. die Eröffnungsveranstaltung mit 200 000 Teilnehmern auf dem Karl-Marx-Platz, die mit einem politischen Skandal aus unserer Sicht begann, indem nämlich bei der Begrüßung der Berliner Delegation ein fürchterliches Pfeifkonzert ausbrach“. … „Für die Missfallenskundgebungen in Größenordnungen zeichneten vor allen Dingen rund 12.000 Turnfestteilnehmer aus dem Bezirk Leipzig“ … „ Aber auch die Mehrzahl der Bezirksdelegationen schloss sich diesem Pfeifkonzert an“. „In den Folgetagen erlebten wir vielfach, dass selbst Kinder, die an Spartakiade Wettkämpfen teilnehmen wollten, durch die Leipziger Bevölkerung bewusst in die falsche Richtung gelenkt wurden, damit sie zu spät zum Wettkampf kämen“. Und resümierend kam der Mitarbeiter zum Schluss; „Wir haben uns in der Delegationsleitung natürlich über diese Dinge sehr ausführlich unterhalten und all diesen Provokationen eine Offensive des Lächelns gegenübergestellt, was zum Ende immerhin den Erfolg hatte, dass es keine besonderen Vorkommnisse gab, in die Berliner Sportler oder Funktionäre verwickelt waren.“ Im Organ der SED, dem „Neues Deutschland“ wurde sich vielmehr auf das „Vieltausendstimmige Sport frei“ berufen und vom „minutenlangem stürmischen Beifall, der in Sprechchöre überging, dankten die Versammelten Erich Honecker für seine Ansprache“, berichtet.
Wochen zuvor, begannen die Vorarbeiten zur Reaktionsplastik „Ich finde es normal einen Klotz zu setzen“. Schlussendlich sollte am Tag der Eröffnungsfeierlichkeiten des Sportfestes, eine Person erhöht aus der Masse herausragen. Dafür musste ein Sockel an präsenter Front auf dem Karl-Marx-Platz gegossen werden. Künstler und Vorarbeiter sichteten in gespielter Normalität einer beauftragten staatlichen Baufirma das Gelände und bestimmten gemeinsam mit dem Platzwächter die Position des zu errichtenden Monolithen. In Folge wurde das Geviert abgesperrt und bis zur Bauausführung freigehalten. Am Tag der Montage setzte der Künstler die Form von 60×60×60cm, goss Beton ein und entfernte Stunden später die Bewährung. So blieb der Klotz für Wochen in seiner Position präsent. Reklamationen von Beulen und Schrammen am kollidierten PKW, wurden vom Platzwart mit dem Argument des staatlichen Auftrages abgeschmettert. So stand der Klotz bis Mitte Juli 1987, bis ein gelber Punkt an der Kante des Podestes die Position eines Fahnenträgers markieren sollte. Da dieser aber auffällig erhöht stehen würde, organisierte das Organisationskomitee der Eröffnungsfeierlichkeiten den schnellen Abriss und ebnete die Fehlstelle ein. Hier war klar, Niemand durfte aus formtreuer Masse hervorstechen.

Aufmarschplan 1987 der Fahnenträger. „Fahne, Frau, Fahne, Frau“. Ein erhöht stehender Fahnenträger ist nicht vorgesehen.
H. an der eingeebneten Stelle des Klotzes, Karl-Marx-Platz Leipzig, Frühjahr 1987

Super-8-Film: „Höhepunkte der Feierlichkeiten anlässlich 175 Jahre Völkerschlacht bei Leipzig“ 1988
Es blitzt und donnert. Orchester pauken um die Wette. Manch bunt kostümierten Leibfüsiliseren verrutscht bei diesem Rhythmus der selbstgebastelte Tschako. Egal. Es wird wild gestikuliert und theatralisch gepöbelt und mit Knallhütchen auf den Gegner geschossen. Wann wer fällt und wo der entscheidende Bums zelebriert wird, ist nur dem Eingeweihten ersichtlich. Mit Krieg hat der Maskenball nichts zu tun. Aber echt soll es aussehen. Wenige lassen sich fallen, zu kostbar ist die Kleiderpracht. Zu viele Stunden wurde genäht, seltene Stoffe, Fell und Bleche besorgt. Jetzt darf nichts kaputt gehen. Alle Jahre wieder. Ein Possenspiel mit ernstem Dekor. Nachwehen der größten Schlacht des 19.Jahrhunderts mit 600 000 Soldaten, 100 000 Tote. Mann gegen Mann. Ehrlicher Zweikampf auf offenem Feld der Ehre. Ohne Deckung gebende Panzer und Bombenwerfende Piloten. Hier galten noch Tugenden wie Tapferkeit, Ehrlichkeit und Enthusiasmus für die Sache der Kriege.
Dieses Jahr gibt es wieder ein großes Feuerwerk. Ohne Chor im schwefelnden Gefahrenbereich wie ein Jahr zuvor. Es ist der Höhepunkt der Schlacht. Sieg dem Sieger. Verluste dem Verlierer. Das Völkerschlachtdenkmal glüht rot im Raketenschein. Bunte zündelnde Feuerschweife sinken zu Boden und spiegeln sich im großen Wasserbecken vor dem Monument. Der Sound drückt ordentlich den Schall. Die Spielmannszüge schweigen. Die Soldaten salutieren stumm. So also klingt Krieg.

Lichter wie detonierende Granaten, Jörg Herold, Super 8, s/w, ohne Ton, 3min. 1988
„Schönheit gibt es nur im Kampf“ Filippo Tommaso Marinetti: Manifest des Futurismus 1909

Super-8-Film: Körper im Körper 1986
„Aus diesen Flächen wurde ich zum Körper. Zum Körper im Körper“

Jörg Herold „Urmutter Nabelverkabelt“ Siebdruck über gebeiztem Papier 100 x 72cm aus: Kaspar Hauser kehrt zurück, Leipzig, Nürnberg 1990
„Mit wachsendem Alter wird das Bedürfnis nach Raumschmuck stärker“ Lykke Aresin Annelies Müller-Hegemann

Räume meiner Kindheit, gestaltete Proportionen, Farben und Gerüche aber auch gesellschaftliche Paradigmen, beschränkten meine Selbstbestimmung zur freien Körperlichkeit. Nicht schlimm, aber dennoch prägend oft trostlos uninspiriert. Mein Gegenüber hatte klare Linien, scharfe Schatten, genormter Minimalismus. Fernwärme, Holztapete, Kunststoffe, Raufaser auf Beton. Fernsehen in Schwarz und Weis. Kunstfaser, welche mir beim Gehen Unbehagen verursachte. Ausschlag, Jucken. Zwei Reproduktionen an den Wänden, eine im Wohnzimmer über dem Sofa, Saskia im geschmiedeten Rahmen und einen Scherenschnitt im gemeinsamen Schlafzimmer meiner Mutter und mir. Zwei Rohrkolben am Teich, ein unbeholfener Scherenschnitt. Schwarzweis. Aber ein gutes Training um zu lernen, wie man Bilder wegsehen kann.

Bildersprache lernen. VEB Raumkunst, nackte Frau und der Sandmann als Furniercollage. Erste Bilderfahrungen, 1960 – 1972
Werbung Jugendzimmer mit Marschbild
Jörgs Domestizierungen 1970 – 1973. Anerkennung der Malfreude, Urkunde 1980.

Wohnen lernen ist in meiner Kindheit auch pädagogisches Thema. Das eigene Zimmer wurde 1971 zum Unterrichtsthema des Kunsterziehungsunterrichtes. Name der Stoffeinheit “Die Gestaltung der Wohn- und Arbeitsräume in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft“. Ausgewählte Motive, welche „den Zusammenhang von Gesellschaftsordnung, deren Lebensverhältnisse und Wohnraumgestaltung bewusst gemacht und durch praktische Kombinationsübungen folgerichtiges funktionelles Organisieren und ästhetisches Ordnen im Bereich der eigenen Wohnwelt angewendet werden“. Ziel der Kunstfertigkeitsübungen: „die Wohnung als Spiegel der Persönlichkeit und Ausdruck der sozialistischen Lebensweise. Bei den Schülern soll ein dem Sozialismus gemäßes Verhältnis zur Wohnraumgestaltung herausgebildet werden, das frei von kleinbürgerlichen Vorstellungen ist.“

Jörg Herold 1972. „Manöver Schneeflocke“ und der „ 1.Mai“, Hochstimmung, zwei Tage vor meinem siebenten Geburtstag.

Architektur sollte das Gesamtwohl, den Klassencharakter bestimmen. Bauen musste das reale Lebensbedürfnis des neuen Menschen bezeugen. Das heißt, Architektur im Sozialismus wurde primär von den Beziehungen der Menschen untereinander bestimmt. Der Mensch als Masse. Individualismus in Höhlen und Palästen gehörte der Vergangenheit an. Heißt die Funktion bestimmt die Form. Jeder ist glücklich auf 27,6qm. Mit dieser Zahl konnte gerechnet werden. Einraum, Zweiraum, Dreiraum …. Vierraum und Schluss. 15qm pro weitere Person. Kinderzimmer für zwei, sind kleiner zu planen als Elterliche Schlafzimmer. Denn zum Doppelbett gehört das Beistellbett fürs Dritte. Räume, so wurde festgelegt, organisieren gesellschaftliches Leben. Räume sollten nicht nur zur Anschauung, sondern für Tätigkeiten gestaltet werden. Eine praktisch-funktionale Bauordnung gehe der ästhetischen voran. Aber den Funktionalismus als Stilbegriff zu manifestieren, wurde heiß diskutiert, aber letztendlich scheuten sich die Vordenker den Begriff als Manifest zu formulieren. Vielmehr wurde die „utilitaristische“ Funktion der Architektur des Formalismus dem sozialistischen Bauherrn als Regulativ angeboten.
Ob so oder so, der Funktionalismus setzte sich durch. Er wurde Basis zur komplexen Umweltgestaltung des Sozialismus. Wobei als grundlegende Aufgabe diese „in der Einheit von Produktionsweise, Lebensweise und Kultur die für den gesamtgesellschaftlichen Reproduktionsprozess des Lebens der Menschen gemäße räumliche und gegenständliche Umwelt zu gestalten sind“. Er bestimmte die Gestaltung „komplexer Lebensprozesse“ als „optimalen Zeitgewinn“ und als Ziel die „komplette Urbanisierung“.
Rein rechnerisch ließen sich alle Bedürfnisse befriedigen. Im Zirkelschlag waren Kindergarten, Schule und Bus gut zu erreichen. Rein emotional aber schloss die pragmatische Bebauung eine sinnliche Befriedigung aus. Zudem ging das Bauen schleppend voran. Kultur begleitende Vorhaben wurden gestrichen. Das Nötigste musste reichen. Immerhin wurde quartalsweise gefeiert. Überdimensionierte Schlüssel als Zeichen der Planerfüllung wurden an Auserwählte übergeben. Zum Schluss, die 35 000. Wohnung für den 96 000. Menschen. Dennoch, trotz intensiver Planung blieben manche Ecken, Fassaden und Durchgänge kalt. Verblieben im ewigen Schatten. Schwarz auf weiß.

Bewurstsein oder für alle ist gesorgt Super-8-Film 1988

Plakat zur Ausstellung „Bewurstsein oder für alle ist gesorgt“ Leipzig 1987
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