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Kunst für Alle – Alles ist Kunst

oder die Frage nach der „Kultur für alle“. Hilmar Hoffmann, Autor des Buches „Kultur für alle“, befragt nach der Geschichte seines Lebensmottos, gab keinen bestimmten Moment der Erleuchtung an. Vielmehr beschrieb er das stückweise Aneignen fremder Terrains, in einem kreativen Akt der Überzeugung. Die Masse, meinte er, musste erst überzeugt werden, dass „Kultur für alle“ da ist und man sie sich problemlos aneignen kann. Herr Hoffmann schrieb ein Buch über Tauben, denn dort wo Herr H. Kulturpolitik gestalten wollte, war das Zentrum des Bergbaus. Bergmänner lieben Tauben. Tauben sind kluge Tiere und treu bis in den Tod. Leben und über Tage verschönerten sie die freie Zeit. Das Buch “Tauben” von Hilmar, wie fortan die Taubenzüchter Herrn Hoffman nannten, wurde ein großer Erfolg. Die Brieftaube als verbindendes Moment. Dennoch war das Buch teuer. 100.-Mark, zu teuer. Also verhandelte Hilmar: “Wir reden über Kultur und ihr bekommt mein Buch”. “Das ist Politik – Kulturpolitik”, sagte Herr Hoffmann.

Kulturpolitik

Kunstarbeit, wie sie Herr H. favorisiert, also Kunst, die sich um soziale Einschlüsse bemüht, sollte sich über das Verhalten des Publikums als Teil der Arbeit sicher sein. Der Vermittler muss sich jedoch darauf einstellen, dass Denkansätze und Praktiken auf dieser Ebene, eher als Sozialarbeit und nicht als Kunst bewertet werden.
Auch die Kunst selbst, hat sie denn eine soziale Absicht, ist angewiesen auf organisatorische Aspekte der gewählten Vermittlungswege. Ihr stehen zwar Handwerk und Formsprache als ästhetisches Potential der Verständigung zur Verfügung, bedürfen einer engagierten Interpretationshilfe, um Ideen in Umlauf zu bringen. „Der soziale Blick“, muss sich, ob er will oder nicht, Kunstformen zuwenden, die sich in ihrer Adressierform ganz auf konventionelle Strukturen verlassen um nicht ins Abseits zu geraten.
Schlussendlich ist zu vermelden, dass der Geltungsbereich eines künstlerischen Entwurfs, nicht allein in der Verantwortung des Künstlers liegt, sondern in Abhängigkeit zu all jenen steht, die von dessen Konzeption in ihren Bann gezogen oder professionell an einer Vermittlung beteiligt sind. Leider hat das Publikum gegenwärtig, in passiver Selbstverständlichkeit hingenommen, dass Werke durch ihre exklusive Machart, nur dort zu sehen sind, wo das Angebot an Fläche und ökonomischer Power eine zur Schaustellung des Spektakels zulässt. Damit akzeptiert es, dass Kunst nur für den musealen Kontext produziert wird oder billigt dem Künstler wohlwollend zu, sich auf die Potenz global vernetzter Mäzene einzulassen, die Kunst nur zur Ausschmückung ihrer Heime abonnieren und sich auf Wertsteigerungen ihrer Sammlung verlassen. Bedauerlich, dass es in dieser Rezeptionsform nur einem Museumspublikum vorbehalten ist, Kunst als kollektive Wertschöpfung war zunehmen und auf privater Ebene nur wenigen Menschen vergönnt ist Kunst zu sehen, die zum „Anschauen dürfen“ einbestellt werden. Autoritär, elitär, unzugänglich – diese Eigenschaften zeitgenössischer Kunst und das spekulative Verhalten in der Vermittlung von Kunst der Gegenwart, muss sich der Kunstbetrieb gefallen lassen. Hart aber ehrlich. Ich möchte Herrn Hoffmann kein „Verrat“ an der Kunst unterstellen, aber in der „flachtretenden Doktrin“: „Kunst für alle“ – oder in der flapsigen Androhung des Künstlers Joseph Beuys Alles zur Kunst zu bestimmen, weichten sich die demokratischen Ideale der Kunst auf. Unter solchen Strategien der Beliebigkeit einer Kunstproduktion und ihrer Verbreitung, war ihre „Unverantwortlichkeit“ im klassischen Sinne vorhersehbar. „Für jeden zugänglich, verständlich, auf keinen Fall elitär“. Diese drei Eigenschaften waren die Ideale der Kunst. In allgemeiner Abstimmung befürwortet, etablierte sich ab Mitte der 60er Jahre dieses Ziel. Kurz nur, aber Kraftvoll. Doch das Publikum wird Misstrauisch. Kunst verspricht auch Wertigkeit. Ein Versprechen, was die Schnell- und Massenproduktion einer Wegwerfkunst nicht einhalten konnte. Das Publikum entscheidet sich dagegen, und beginnt dem Hochziel zu misstrauen. Es sucht sich neue Autoritäten und beginnt wieder Kunst zu favorisieren, die nicht vom gut gemeinten Ideal erzählt, sondern vom Markt bestätigt wird.
Ob und wie ich als Künstler, diesen „Moralverfall“ bewerte, spielt keine Rolle. Ich denke jedoch, dass der Einfluss von ökonomischen Strukturen in der Kunstproduktion, entscheidende Impulse an den Künstler sendet, sich in diesem selbst reflektierenden System zu positionieren. „Erfolge“ sollten jedenfalls misstrauisch werden lassen. Monetäre Misserfolge aber auch. Einfach mit dafür oder dagegen, lassen sich die Wechselwirkungen zwischen Kunstmarkt, Kunstproduktion und Kunstvermittlung nicht beantworten. Zu komplex sind die Verflechtungen von Ökonomie, Macht und Eitelkeit. Nicht zu vergessen die Absprachen in sozialen Systemen im Diskurs der Relationalen Ästhetik. Immer noch scheint mir eine direkte Begegnung im Analogen, als zwischenmenschliche Beziehung, entscheidend für die Widerspieglung und Ausschöpfung kreativer Ressourcen des Individuums zu sein.
Kunst hat und wird auch immer die Verhältnisse der jeweiligen Epoche interpretieren. Sie kann den Fortschrittswahn der Gegenwart beschwören oder auch entwerten. Kann dokumentieren und archivieren. Dabei sind alle Formen der Verwertung erlaubt. Kunst ist nicht verpflichtet wissenschaftlich korrekt zu arbeiten, genau das ist auch ihre Chance über die Zeit hinweg zu bestehen. Nur die Wissenschaft ist verpflichtet Kunst genau zu beobachten und die Prozesse der Kunstproduktion exakt zu beschreiben. Das Publikum jedenfalls ist immer in gespannter Erwartung und ein Markt kann alles befriedigen.
Elaine Sturtevant, großartige Imitatorin von Kunst Ende der 1960er Jahre bis 1974, beschrieb ihre verspätete Entdeckung, mit dem Goldenen Löwen in Venedig 2013 gefeiert; „Ich erkannte, dass, wenn ich weitergearbeitet und weiterhin diese Art Kritik erhalten hätte, das Werk verwässert worden wäre. Darum entschied ich abzuwarten, bis mich die Vollidioten einholen. Und in der Tat machten sie das“.

Von den beiden Möglichkeiten, Geschichte als Kunst zu sehen
Geschichte in künstlerische Prozesse einzuarbeiten, beinhaltet zwei Möglichkeiten. Die Suche nach Strängen, die zum gegenwärtigen Resultat geführt haben. Geschieht durch eine Perspektive, die nicht mehr hinter ihren bereits erreichten Stand zurück kann. Das historische Material wird vom Standpunkt des Erreichten bewertet. Die Befragung der Geschichte unter einen aktuellen Blickwinkel führt notw. Weise auch zur Um– und Neuordnung des historischen Materials. Bisher Nebensächliches wird hervorgehoben, Bedeutendes relativiert. Dabei sind die Rahmenbedingungen, die auf die Interpretation und Rezeption von Kunst einwirken gesellschaftspolitisch entscheidend. Von Beginn an ist das Verhältnis zwischen künstlerischen Anspruch und kulturpolitischer Vermittlung aufgeladen und gespannt. Bis heute, macht sich die Brisanz sozialer Definition von Kunst bemerkbar, eine Brisanz, die sich aus der bewussten Neudefinition des Kunstbegriffes resultiert und die gerade an den vehementen versuchen ihrer Entschärfung erkennbar wird. Die zweite Historisierung konnte zeigen, dass die Nachkriegskunst mit ihrer Tendenz, sich auf Einzelkünstler zu konzentrieren parallel existierende Forschungsfelder und Tätigkeitsbereiche überstrahlt bzw. ausblendet. Bemerkenswert, das man gerade die Avantgarde aufgrund ihres eigenen Geschichtsverständnisses deskreditiert. Fortschrittspathos der Avantgarde an das zukünftige Glück. Immer wieder traten im Avantgardismus Ansätze hervor, die auf eine Erfüllung der Kunst im Augenblick, von dem aus sich eine Zukunftsperspektive öffnet zu sehen. Avantgarde ist eindimensionales Geschichtsverständnis.

„Die Moderne hat die Kunstgeschichte nicht beendet, sondern beerbt. Indem sie einen Anfang und ein Ende setzte, eine Zeitordnung mit eigenen Genealogien, Entwicklungsphasen und Endpunkten erfand, kurz: die Autorität des Historischen nutzte, meinte sie dem Vorwurf der Beliebigkeit entgehen zu können.“
Stefan Germer „Mit den Augen des Kartographen – Navigationshilfen im Posthistorie“

Avantgarde ist Herrschaft des Historischen über das Ästhetische, heißt sich der Dominanz des Historischen bewusst zu sein und beschreibt die Notwendigkeit sich als Künstler auf eine Tradition zu beziehen auch wenn er sie nicht mehr für zeitgemäß hält und nicht fortschreiben will.
Das Verhältnis zwischen erster und zweiter Historisierung macht deutlich, dass solche künstlerischen Vorstöße, die sich systematisch mit neuen sozialen Bestimmungen von Kunstbegriffen befassen, zu allererst die gewohnten Interpretationsraster herausfordern. Um den neuen Anwendungsbereich zu realisieren, sind sie auf eine ihr entsprechende rezeptive Haltung angewiesen. Erst eine Rezeption, die in der künstlerischen Arbeit kein werk vermutet, sie nicht als abgeschlossenen Projekt betrachtet, sondern als Anstoß aufgreift, verleiht der Kunst ein prozessierendes Moment. Ihr Zielideal besteht nicht in einer bereits gefundenen und verwirklichten Form, sondern in einer Form, die erst gefunden werden muss. Während dieses Findungsprozesses, der unabschließbar ist, unterliegt die Arbeit einem morphologischen Wandel.

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Jörg Herold