Die Verurteilung der Erinnerung (damnatio memoriae)
„Man kann weder sagen, daß er Wahrheit und Unwahrheit unterschiedslos vermischt habe, noch dass er ein Lügner gewesen sei, obwohl er häufig die Lügen anderer wiederholt hat, was jedoch auch nach strengsten historischen Gesetzen erlaubt ist. Eben diese Gesetze verpflichten uns sogar, Gerüchte, die im Umlauf sind, und die verschiedenen Meinungen der Menschen wiederzugeben.“ Herr La Mothe Le Vayer im 17.Jharhundert, über den Wahrheitsgehalt der Aussagen Herodots
“Aber Poesie” schreibt Herr LMLV. in einem Brief an einen kirchlichen Würdenträger, in dem es um die Beziehung zwischen Poesie und Geschichte geht, “kann nicht auf Fiktion verzichten” während er sich der Geschichte zuwendet, diese „allein für die Wahrheit Beachtung verdient und in der Lüge ihren Todfeind erkennt“. “Jedoch ist zu bemerken”, schreibt er weiter, das eine Geschichtsschreibung kaum Erfolg haben dürfte, da unter „der unendlichen Zahl von Personen, die erdichteten Erzählungen wahren Schilderungen (…) vorziehen.“ Und hundert Jahre später erweiterte ein Herr Claude Fauchet den Mehrwert einer dichterischen Erzählung mit folgenden Worten „Welcher Schriftsteller auch immer, sogar der schlechteste, kann sich unter gewissen Umständen als nützlich erweisen, und sei es nur als Zeuge seiner eigenen Zeit“
Und Carlo Ginzburg ergänzt Anfang der 90iger Jahre des 20igsten Jahrhundert: „Sogar der schlechteste, oder vielleicht gerade der schlechteste: Die Distanz zum vorherrschenden Geschmack erleichterte den Zugang zu den literarischen Schriften des Mittelalters durch eine Lektüre aus dokumentarischer Sicht“
Erste Grabungen in Mitteleuropa wurden bereits Ende des 16. Jahrhunderts durchgeführt und untersuchten zumeist oberirdisch sichtbare Hinterlassenschaften wie Grabhügel oder Befestigungsanlagen. Als „Picknick-Grabungen“ beliebt, konnten wohlhabende Bürger den Arbeitern beim Schaufeln zusehen und die gefundenen Gegenstände bewundern. Später dann abgestellt und herausgeputzt als Sammlung in Kuriositätenkabinetten zusammen mit ethno-Souvenirs und zoologischen Präparaten.
Walze 33. Der Phonograph registriert das Rumpeln der Rotation ebenso wie die Wichtigtuerei des Aufnehmenden und die epistemische Gewalt kolonialer Taxonomien. Von Walze 33 klingt so ein polyphones Tonfragment kolonialer Geschichte, das von Gewalt und lokaler Widerständigkeit zeugt.
Herr Lichtenecker schreit „Achtung, Achtung, Achtung, Achtung“ in den Aufnahmetrichter. Dann grüßt Hans Frederik, der Hottentotte die Hörer in Deutschland. Nun spricht er über die Mühsal seines Daseins und, dass er dennoch Dankbar ist am Leben zu sein. Niemand versteht Khoek-hoegowab. Aber Herrn Lichtenecker ist der Inhalt dieses Kauderwelsch eh egal, er bedient nur die Technik. Alles für die Geschichte. Erst 2007 übersetzt die namibische Historikerin Memory Biwa die Worte des Herrn Frederik.